Eine Radreise nach Venedig, 1883

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„Triumphzug des Bicycles.“ Eine Radreise nach Venedig 1883

Die erste große Auslandsreise eines österreichischen Hochradclubs führte den Grazer Bicycle-Club von 10. bis 25. August 1883 nach Venedig. In 16 Reisetagen wurden 1.136 km zurückgelegt und zahlreiche Auftritte absolviert. Max Kleinoscheg befasste sich als Chronist mehrfach mit dieser „schönsten, zugleich größten Clubpartie, die je gemacht wurde.“ Hier Kleinoschegs Schilderungen in Auszügen.

Max Kleinoscheg (1862-1940)   Porträtfotografie, in den Jahren nach der Venedig-Radreise entstanden © Alois Pentunvill/ Slg. Lampl
Max Kleinoscheg (1862-1940)
Porträtfotografie, in den Jahren nach der Venedig-Radreise entstanden
© Alois Pentunvill/ Slg. Lampl

„Heute kommen die englischen Reiter“
Unsere Hochräder, etwa 140 Zentimeter vom Sattel bis zum Erdboden hoch, waren mit ihren fingerdicken Vollreifen in besten Stand gesetzt, unser Training war sorgfältig durch tägliche Früh- und Abendfahrten in die Umgebung von Graz vorbereitet. Das Fahrprogramm für diese Reise wurde gedruckt und an die Gemeinden der Durchfahrtsorte und an Zeitungen gesandt. Die Fahrt ging auf der gewöhnlichen Strecke, damals teilweise wohl auch noch von keinem Radfahrer befahren über Obersteier – Neumarkt – Klagenfurt – Villach – Tarvis – Venedig und zurück über die Dolomitenstraße nach Cortina, dann der Drau folgend bis Marburg und nach Graz. Brömer war der Kommandant, ich der Hornist, Wagner Quartiermeister, Dr. Dietrich Tagebuchführer.

Die Fahrt war ein Triumphzug des Bicycles.
Schon in Bruck mussten wir spielen (= Kunstfahren, Anm.). Wir besuchten dort unseren steirischen Dichter Karl Morré; er kam mit uns vor´s Kaffee Köthe, dort fuhren wir vor vielen Zusehern Schule, Morré sammelte ab, wir erzielten ca. 25 Gulden für die Stadtarmen. Dann spielten wir in Judenburg und besonders in Unzmarkt. Als wir dort zur Mittagsrast in dem Gasthof Pilgersdorfer einfuhren, sahen wir schon von Weitem außer vielen Menschen an einem Scheunentor groß aufgemalt: „Heute kommen die englischen Reiter“.

Beim Essen kam der Wirt und bat uns auf dem Platz zu spielen, denn es seien viele Bauern auch von den Bergen herab eigens wegen uns gekommen. Also fuhren wir große Schule. Das stets und überall bewunderte war das Aus- und Anziehen des Rockes während der Fahrt, noch dazu während der Rondenfahrten.

Bei Scheifling ist eine steil abfallene Stelle mit darauffolgender scharfer Wendung. Gerade am äußeren Straßenrand war ein hoher Düngerhaufen mit vorgelagerter schwarz schillernder Pfütze. Wir kamen in voller Fahrt den Hang herab, mein Hintermann schoß mir vor, konnte die Wendung nicht nehmen und flog schon im Bogen kopfüber gegen den schwarzen weichen Berg zu – als eine Kuh, die am Straßenrande weidete, erschreckt vorspringt, mein Kamerd auf deren Rücken landen und dann auf trockenen Boden herabgleiten konnte.

In Klagenfurt war ganz großartiger Empfang, unsere Kärntner Gründer (des Grazer Bicycle-Club) waren ja auch auf Ferien dort. Am Hauptplatz, voll Zuseher, wieder große Schule, Wlatnigg als Einzelkunstfahrer.

Mehrere Klagenfurter Kameraden begleiteten uns nach Villach. Auch ein Wilder (ohne Verein bzw. Club, Anm.) ab Krumpendorf, der weder auf-, noch absteigen konnte, sonst aber gut fuhr. Wenn abgesessen werden musste, so fuhr er zu einem Schotterhaufen und leerte langsam um, beim aufsitzen suchte er etwas Erhöhtes, hinter Velden zum Beispiel ging er in ein Straßenwirtshaus, holte einen Stuhl heraus und stieg auf. In Warmbad Villach fand er den Kübel eines Oleanderbaumes, der vor dem Badetor stand, zum Absitzen geeignet.

An der Grenze Pontafel – Pontebba gabs gar nichts. Ich blies den Generalmarsch, wir salutierten den Zollwächtern und Carabinieri und diese grüßten stramm und wir waren in Italien.

-„Lustige Mädel jubelten uns zu“

Die Abfahrts- und Ankunftsstunden in allen Tagen waren genau vorgeschrieben und wurden genau eingehalten. Von Pontebba fällt die Straße bekanntlich bis in die italienische Tiefebene sehr mäßig und ist im idealen Zustand. Was Wunder, dass wir schnell vorwärts kamen. Auf einmal rief Brömer mir zu: Signal langsam, ich blies, ohne zu wissen, warum: Schritt; er sagte, wir sind um 10 Minuten zu früh in Chiusaforte. Also stoppten wir mit Gegentreten die herrliche Straße hinab, um pünktlich und nicht zu früh zu kommen.

"Clubfahrt"  Zeichnung aus "Radfahrer-Leben" von Heinrich von Esebeck, verfasst Dez. 1884, Liezen, © Verlag Friedrich Beck, Wien
„Clubfahrt“
Zeichnung aus „Radfahrer-Leben“ von Heinrich von Esebeck, verfasst Dez. 1884, Liezen, © Verlag Friedrich Beck, Wien

Bei Pordenone war ein großes Kavalleriemanöver beendet, die Eskadronen ritten heim, wir fuhren diesen vor. Als wir die italienische Heeresmacht schon hinter uns hatten, sprengte ein Offizier heran, stellte sich uns, die wir immer weiter fuhren, vor, fragte, woher und wohin und lud uns im Namen des Kommandanten zum Mittagsmal in die Offiziersmesse ein. Obwohl wir auf der Tour selbstverständlich keinen Alkohol trinken durften, bewilligte Brömer eine Ausnahme, sodass wir auch richtig um eine halbe Stunde zu spät nach Conegliano kamen.

Richtig, tags zuvor noch in Tricesimo, machten wir den ganzen Ort rebellisch. Dort sind einige Seidenspinnereien an der Straße. Wir fuhren in das Städtchen wie immer mit Generalmarsch ein. Viele Hunderte Spinnerinnen, lauter lustige Mädel, Kopf an Kopf an den Fenstern der großen Fabrik, jubelten, nein schrien uns zu, winkten mit Händen und Tüchern, es war ein Heidenlärm.

Am Abend in Udine, Hotel Stella d´Italia war vorgesehen, begrüßte uns beim Absitzen ein Abgeordneter des Bürgermeisters, gab uns ein feines Nachtmahl. Wir mussten über unsere Reise erzählen und er stellte schließlich zwei Mann Carabinieri die ganze Nacht wachend zu unseren Rädern.

„Robusti velocipedisti“ in Venedig
Nun Venedig. Die ganze Stadt schien gewusst zu haben, dass wir eintreffen. Wir fuhren daher in Gondeln auf Wunsch der Gondolieri nicht zuerst ins Hotel, sondern landeten auf der Piazetta. Hier wieder Empfang durch die Magistratsperson, die uns bat, über den Markusplatz zu fahren. Wir lehnten ein Schulfahren, weil es schon zu spät war, ab, hielten aber am nächsten Tag um 12 Uhr ein großes Schaufahren am Markusplatz ab. Die Feuerwehr (pompieri) und Stadtsoldaten hielten mit Seilen nun einen kleinen Fahrraum für uns frei, alle Fenster waren dicht besetzt und am Platze selbst ungezählte Menschen. Im Abendblatt bereits lange Artikel über die „robusti velocipedisti di Graz“.

Die Heimfahrt ging dann durch die italienische Tiefebene durch Belluno, die schwere Steigung die Dolomitenstraße hinaus über Peralolo nach Cortina. Das war die schwerste Strecke, daher wollten wir das Ereignis, alles getreten zu haben, wieder mit Asti feiern. Wir bezogen Quartier im Weißen Kreuz in Cortina. Bald wurde es gewaltig lustig, der Asti löste Wagners Kehle und so begann er unser Klublied: „Flinke Bicyclistenmänner ….“.

Bis Paternion, 13. Fahrtag, hatten wir keine Wolke gesehen. Dort erwischte uns ein gewaltiger Hochgebirgsguss und wir flüchteten in ein Schlösschen nahe der Straße. Dort wurden wir überaus gastfreundlich aufgenommen, wir bekamen trockene Kleider, ein ausgiebiges Nachtmahl und gute Betten. Wir haben gerne angenommen, wenn wir auch um 20 km unseren Fahrplan untreu wurden, die wir aber am nächsten Tag leicht hereinbrachten.

Dann gings ohne Ereignisse Drau abwärts bis Marburg, nur bei Unterdrauburg gab es eine kleine Affäre. Ein Herrschaftswagen kam uns im schnellsten Trab entgegen und hielt plötzlich brüsk vor uns an. Wir saßen auf Kommando, der damaligen Fahrordnung entsprechend, etwa 100 Schritte vor dem Fahrzeuge ab und versteckten unsere Räder im Straßengraben. Doch das Fuhrwerk machte keine Miene, weiterzufahren. Es vergingen Minuten, unser Führer wurde ungeduldig und rief dem Kutscher zu, doch endlich loszufahren. Da stiegen ein Herr und eine Dame vom Wagen, auch zwei Kinder, er stellte sich als Bezirkshauptmann von Windischgraz vor und erzählte, dass sie eigens uns entgegengefahren sind, um das Radfahren anzusehen und den Kindern zu zeigen.

Wir fuhren wieder etwas vor und dann weiter nach Marburg. Hier gab es wieder einen großen und festlichen Empfang durch den erst vor wenigen Monaten von uns gegründeten Marburger Bicycleklub, wieder eine gemeinsame Auffahrt mit den Mitgliedern des Marburger Bicycleklubs auf dem Sofienplatze.

Am nächsten Tag eine Ausruhefahrt nach Graz, denn wegen des Empfanges, der für den Abend in unserem Klubheim geplant war, durften wir nicht zu früh eintreffen. Ab Landschabrücke gab es bei fast jedem Kilometerstein Zuwachs uns entgegenkommender Klubmitglieder, in imposanten Zuge wurde bis zur Steinfelder Bierhalle gezogen und bei festlichem Komerse waren wir die Opfer zahlreicher Ovationen. Und schließlich konnten wir Gebezisten stolz sein auf unseren Erfolg. Der Steinfelder Biergarten war überfüllt, der G.B.C. leistete eine Militärmusik – bei welcher um ersten Male die Widmung des Kapellmeitsers Horny (37. Infantrie-Regiment) „Bicyclisten-Rendezvous“ zur Aufführung gelangte -, und so schloss herrlich diese prächtige Klubpartie.

Quellen
Max KLEINOSCHEG, Geschichte des Grazer Bicycle-Club 1882-1892, 23f
– Heute vor dreißig Jahren, in: Tagespost, 11. Bogen zu Nr. 218 vom 10.8.1913
– Vom Beginn des Radfahrens in Steiermark (masch. geschr. Manuskript ca. 1933)

Der Artikel wurde aus Ausschnitten dieser Texte zusammengestellt, möglichst original, ausgenommen kleiner, schlüssiger Korrekuren und Glättungen. Vielen Dank an Wolfgang Wehap und graz.radln.net

4 Kommentare

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  1. Die Strecke gefällt mir!
    😉
    Nächste Jahr?

  2. gerne, aber da sind ein paar höhenmeter zu bewältigen 🙂

  3. Und die waren auf 54 Zoll Räder unterwegs ( 1m40 Sattelhöhe)
    😮
    Meine Frau hat sich ein 50er bestellt, das nehme ich dann nächstes Jahr
    😉

  4. ich steig dann aufs safety um 🙂

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